Sie haben zum ersten Mal einen Roman verfilmt. Was fesselte Sie an der literarischen Vorlage von Christoph Hein?

Zuallererst mal, dass hier eine ganz spannende und persönliche Geschichte erzählt wird, die in ihrer Tiefenstruktur aber eine große gesellschaftliche und politische Dimension besitzt. Ich habe das Buch 2000 während eines Urlaubs in Griechenland gelesen. Dort habe ich mit meiner damaligen Freundin den schlimmsten Alptraum erlebt: Ich bin nachts wach geworden und vor einer wehenden Gardine stand plötzlich ein Mann in unserem Hotelzimmer. Ich bin aufgesprungen und ihm schreiend und nackt hinterher gerannt. Ein fast schon skurriler Vorgang! Es blieb alles sehr mysteriös, aber dieser Vorfall hat uns dann während des ganzen Urlaubs traumatisiert und auch noch einige Zeit danach. Wir waren plötzlich voller Ängste. Schon deshalb hatte ich sofort Zugang zu dem Roman. Mich hat interessiert, dass hier über einen Mann erzählt wird, der nach und nach alle Sicherheiten verliert. Er ist in seiner Welt der Souverän, hat alles, was er sich wünscht: zwei Häuser, eine schöne Frau, eine Geliebte und dann baggert er auch noch diese Studentin an. Das Geschäft läuft gut und Geld ist kein Problem, so könnte es ewig weiter gehen für ihn. Doch plötzlich widerfährt ihm etwas nicht Alltägliches: er wird Opfer von Kriminalität und muss begreifen, dass die Welt, in der er lebt, sehr viel brüchiger ist, als er je für möglich gehalten hätte, dass er sich auf sehr dünnem Eis bewegt. Er verliert seine Selbstsicherheit und alles gerät plötzlich ins Wanken.

Inwieweit ist denn dieser Willenbrock eine exemplarische Figur?

In seinem Wesen spiegelt sich unsere gesamte gesellschaftliche Bigotterie. Wir fühlen uns ja auch auf eine sträfliche und trügerische Art sicher. Fremdes Elend interessiert uns nur in zugespitzten Situationen, ansonsten haben wir uns einfach daran gewöhnt, dass in Afrika täglich tausende Menschen verhungern. Zu Weihnachten wird gespendet, dann finden wir uns toll, genießen weiter unseren Wohlstand und damit hat sich’s. Wir fühlen uns durch unsere Gesellschaft geschützt. Und dann sind wir sehr erstaunt, wenn plötzlich ein Flugzeug in ein Hochhaus rast. Wir können mit Katastrophen und Unwägbarkeiten nicht umgehen. Willenbrock auch nicht. Er macht die Erfahrung, dass „der Staat“ ihn nur begrenzt behüten kann, dass plötzlich Kräfte einwirken, die in diesem Fall aus Osteuropa kommen und ihn gefährden. Er merkt, dass er verletzlich ist, dass sich die Realität nicht verdrängen lässt. Das fand ich interessant. Bei Christoph Hein ist das ein Nachwende- Roman, bei uns wurde daraus eine radikale Gegenwartsgeschichte, die viel mit unserem heutigen Lebensgefühl zu tun hat.

An einem bestimmten Punkt schlägt Willenbrock zurück und greift zur Waffe. Könnte man diese Reaktion nicht auch als eine Rechtfertigung von Selbstjustiz verstehen?

Nein. Er greift ja nicht absichtlich zur Waffe. Anfangs lehnt er das sogar vollkommen ab und will lieber den Rechtsweg gehen. Wenn er die Pistole dann am Schluß doch benutzt, dann widerfährt ihm das fast aus Versehen. Aber es geschieht ihm natürlich, weil er bereits so verunsichert und verängstigt ist, dass er überreagiert. Das ist doch immer die Gefahr in solchen irrationalen Momenten: Wenn man es auf die große Politik bezieht, dann ist der ganze Irak-Krieg eine einzige Überreaktion – mit furchtbaren Folgen! Aber so groß will ich das gar nicht ansetzen. Wir erzählen einfach die kleine Geschichte eines Mannes, dem etwas sehr Schlimmes widerfährt und dessen Verdrängungssysteme daraufhin versagen.

Beim Lesen des Romans hätte ich niemanden wie Axel Prahl vor mir gesehen, im Film erscheint er mir plötzlich als die Idealbesetzung...

Ich war mir auch gar nicht so sicher in der Vorbereitung. Ich habe Probeaufnahmen mit verschiedenen Schauspielern gemacht, unter ihnen auch Axel, weil wir uns ihn auch immer vorstellen konnten in dieser Rolle. Dabei hat er uns aber völlig überzeugt. Wir haben ihm sofort alles geglaubt, auch den Frauenhelden, woran er selbst starke Zweifel hatte. Es ist eben ein Trugschluss zu denken, man müsse solch einen Typen glatt und smart besetzen. Willenbrock muss vor allen Dingen von innen leuchten – so etwas kann kein Schauspieler herstellen, so was hat man oder auch nicht. Und Axel hat es! Es war ein großes Vergnügen, sich gemeinsam so einer dramatischen Figur zu nähern und dabei eine neue Qualität unserer Zusammenarbeit zu entdecken. Bisher haben wir ja sehr viel über Improvisation gearbeitet, haben uns oft frei fabulierend am Drehort Dinge ausgedacht. Hier mussten wir nun - nach einer literarischen Vorlage - in die psychologischen Tiefen einer Figur hinabsteigen, was natürlich eine andere Spielweise bedingte. Wir konnten uns nicht ganz so naiv verhalten, mussten schon sehr viel früher den Stoff auch intellektuell anfassen.

Nicht nur Axel Prahl spielt auf neue Weise, Sie inszenieren auch anders, sowohl was die sorgfältige Bildgestaltung, die erotischen Augenblicke, aber auch die Spannungsmomente betrifft, die man so bei Ihnen bisher nicht sah.

Diese Art von Geschichte erfordert eine andere Ästhetik. Uns war von vornherein klar, dass wir WILLENBROCK nicht mit einer Digi- Handkamera drehen können. Der Film verlangt eine andere Ruhe und eine andere Dimension der Bilder, um in die Psychologie dieser Figur eindringen zu können. Das war tatsächlich neu, so wie auch die erforderlichen Genre-Elemente bis hin zum Thriller. Für mich war das eine Herausforderung, so etwas mal ausprobieren zu können und beispielsweise den Überfall zu inszenieren. Man wildert sozusagen in einem fremden Bereich – Szenen dieser Art gibt es in meinen Geschichten ja eher selten. Ich hatte nach HALBE TREPPE schon das Gefühl, an einem Endpunkt angelangt zu sein. In diese Richtung ging es nicht weiter. WILLENBROCK erschien mir als gute Gelegenheit, anders zu erzählen und mich neu zu fordern, die Geschichte verlangte das ganz einfach. Man muss Film für sich und für das Team immer wieder neu erfinden, damit es spannend bleibt. WILLENBROCK ist ja im Prinzip von den gleichen Leuten gemacht worden, die auch HALBE TREPPE geschaffen haben.

Ist es, bei allen Unterschieden zu Ihren früheren Arbeiten, dennoch ein Dresen-Film?

Man kann seine Seele ja nicht verleugnen. Ich kann gemeinsam mit meinen Freunden nur die Geschichten erzählen, die mich ganz persönlich berühren. Ich kann nur von Figuren erzählen, die ich mag und mit denen ich mich identifiziere, auch wenn sie sich unmöglich verhalten. Und Willenbrock ist manchmal leider auch ein echtes Arschloch. Es war aber gerade spannend, sich so einer ambivalenten Figur zu nähern. Der Film hat trotzdem Humor, was uns sehr wichtig war, damit man an der Schwere der Problematik nicht erstickt. Im Alltag eines Gebrauchtwagenhändlers geht es natürlich nicht nur bierernst zu. Auch in den Liebesgeschichten gibt es viele sehr warme, auch rührende Momente. Das gab uns die Gelegenheit, ganz von Herzen zu erzählen.

Typisch Dresen ist sicher auch, dass der innerlich tief erschütterte Willenbrock nicht in die totale Hoffnungslosigkeit entlassen wird.

Ich bin einfach kein Typ für fatalistische Geschichten. Die Welt, in der wir leben, hat viele Verwerfungen und Abgründe, auch Willenbrock stürzt schließlich dort hinein. Aber ich will dem Zuschauer, wenn er aus dem Kino geht, auch ein kleines Stückchen Hoffnung mitgeben, sonst müßte man sich aus dem Fenster stürzen, weil alles so schrecklich ist. So schrecklich ist es aber nicht, man kann immer etwas machen. Willenbrock sieht am Ende die Frau, die immer an seiner Seite war, mit anderen Augen. Er achtet sie plötzlich, akzeptiert sie auf neue Art. Das ist für ihn ein wirklich großer Schritt und gibt ihm die Chance, wieder zu sich zurückzufinden, auch wenn das mit einem gewissen Zynismus gepaart ist. Nichtsdestotrotz lassen wir ihn am Ende nicht alleine. Er klammert sich an den Menschen, den er mehr denn je liebt, wenn auch mitten in einer Schneewüste.

[Quelle: Delphi Vilmverleih GmbH]